Wie könnte das Schwanzkupieren bei Schweinen verhindert werden?

Interview mit Herrn Bernhard Feller

Portrait Bernhard Feller
© Bernhard Feller

Bernhard Feller ist Mitarbeiter der Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen im Bereich „Produktionstechnische Beratung für die Schweinehaltung“. Sein Aufgabengebiet spannt den Bogen von der Entwicklung und Weiterentwicklung von Haltungsverfahren über die Beratung zum Stallbau und der Verfahrenstechnik bis zur produktionstechnischen Beratung in schweinehaltenden Betrieben. 

PROVIEH fordert schon lange, nicht kurative Eingriffe am Tier zu minimieren, besser noch vollständig zu unterlassen. Stattdessen müssen die Haltungsbedingungen angepasst werden. In Deutschland wird allerdings noch immer häufig das Tier an die Haltungsbedingungen angepasst, zum Beispiel werden Schwänze der Schweine kupiert. Dies verstößt jedoch möglicherweise gegen nationales, aber auch europäisches Recht. Welchen Ausweg sehen Sie für dieses Problem? 

Das Thema Schwanzkupieren ist ein sehr sensibles Thema. Im EU-Recht und im deutschen Tierschutzrecht werden kurative Eingriffe am Tier nur in Ausnahmefällen erlaubt. Mit dem Kupieren des Schwanzes versuchen viele Betriebe, das Schwanzbeißen und Kannibalismus zu verhindern. In vielen Ställen ist es zum Standard geworden. Es geht also darum, die Gründe für Schwanzbeißen und Kannibalismus zu finden, um sie dann abzustellen. Wir wissen, dass die Gründe sehr vielfältig und auch vielschichtig sind – und damit eben nicht so einfach abzustellen sind. In vielen Untersuchungen und Initiativen wurde und wird viel versucht und experimentiert, auch in Praxisbetrieben. Dies gelingt mit einem hohen Aufwand, manchmal aber eben auch nicht. Was kann also getan werden? Wichtig ist mit ausreichend Beschäftigung für die Tiere für Abwechslung zu sorgen. Dazu müssen nicht unbedingt unendlich viele Beschäftigungsobjekte oder -materialien eingebaut werden und dauerhaft zur Verfügung stehen, sondern auf die Abwechslung kommt es an. Die Möglichkeiten müssen zusammen mit dem Haltungssystem insgesamt betrachtet werden. Bei einer Trockenfütterung am „ad-libitum“-Automaten [Anm. der Redaktion: Futter steht hier nach Belieben zur Verfügung] ist eine andere Vorgehensweise angebracht als bei einer Flüssigfütterung am Sensortrog.] Auch der Platzbedarf spielt eine Rolle: Kann die Bucht in Liegebereich/Aktivitätsbereich und Kotbereich von den Tieren strukturiert werden? Dazu ist eine größere Fläche als die gesetzlich geforderte notwendig.

Schweine im Stall
© Bernhard Feller

Im Herbst 2019 haben Sie in Schweden konventionelle Betriebe mit Schweinehaltung besichtigt. Was sind die größten Unterschiede zur Schweinehaltung in deutschen konventionellen Betrieben? Was machen die Schweden anders?

In Schweden ist es nicht erlaubt, die Buchten ganz mit Spaltenböden auszulegen. Es ist täglicher Zugang zu Stroh oder anderem manipulierbaren Material gefordert. Abferkelbuchten müssen mindestens sechs Quadratmeter groß sein und dürfen nicht komplett mit Rostböden ausgelegt werden. Die Säugezeit muss für das jüngste Ferkel einer Absetzgruppe mehr als 28 Tage betragen und die Sauen dürfen in der Abferkelbucht nicht fixiert werden. Zur Geburt muss den Sauen Stroh zum Nestbau angeboten werden. Das Kupieren der Schwänze ist verboten. Damit die Aufzucht mit wenig Saugferkelverlusten gelingt, muss das Temperaturniveau in den Ställen angepasst, die Ferkelnester entsprechend temperiert und die Buchten gut strukturiert sein. Die Ferkel fressen schon während der Säugezeit mit aus dem Sauentrog und werden so frühzeitig an stärkereiche Nahrung gewöhnt. Der Stress zum Absetzzeitpunkt fällt damit geringer aus, weil das Verdauungssystem schon mehr an getreidereiche Nahrung gewöhnt ist. Den Mensch-Tier-Kontakt habe ich in den Ställen als intensiv kennengelernt und zudem wurde in allen Buchten, im Abferkelstall, Aufzuchtstall und Maststall Stroh eingesetzt. Oft war es zwar nicht viel, wurde aber mehrmals täglich in kleinen Mengen mit der Hand bei der Tierkontrolle eingebracht. 

Die Ferkelaufzucht erfolgt in länglichen Aufzuchtbuchten, die das Anlegen eines Liegebereiches deutlich entfernt vom Kotbereich erlaubt. In der Aufzuchtbucht wurden Wurfgeschwister aufgestallt, je Bucht ein Wurf. Die Fütterung erfolgt am Längstrog mit einem Tier-Fressplatzverhältnis von 1:1 mit einer Fressplatzbreite von 22 Zentimeter je 30 Kilogramm Ferkel. Ebenso wie in der Mast sind die Buchten zu Dreiviertel mit planbefestigten Liegeflächen ausgestattet. Das Platzangebot in der Ferkelaufzucht liegt deutlich über dem in Deutschland, in der Vormast auf deutschem Niveau und in der Endmast etwa 20 Prozent darüber. 

Die Schweine in Schweden werden nicht kupiert, das heißt der Ringelschwanz bleibt ganz. In Deutschland dagegen wird bei fast allen Tieren der Schwanz abgeschnitten, um das sogenannte „Schwanzbeißen“ zu verhindern. Warum ist dies in Schweden nicht nötig? 

Die Ställe in Schweden werden kühler betrieben und außerdem gelingt die Buchtenstrukturierung mit den Festflächen weitestgehend. Die intensive Tierbetreuung mit dem Einsatz von Stroh als Beschäftigungsmaterial ist sicher ein weiterer Punkt.

Die Schweine in Schweden haben jederzeit Zugang zu Stroh. Welche Rolle spielt das in diesem Zusammenhang? Stroheinsatz funktioniert technisch gesehen aber nur ohne Vollspaltenboden, oder? 

Der Vollspaltenboden ist nicht als solches das Problem. Auch in Schweden werden Spaltenböden aus Beton oder Rostböden aus Gusseisen oder Dreikantstahl eingesetzt. Stroh wird auch in Teilspaltenböden Probleme bereiten. Deshalb werden in Schweden zur Entmistung der Ställe Unterflurschieber eingesetzt. Das hat auch den Vorteil, dass die Schadgasentwicklung innerhalb des Stalles als deutlich geringer wahrgenommen wird.

Was müsste passieren, damit auch in Deutschland der Ringelschwanz am Schwein bleiben kann – und für wie realistisch halten Sie die Umsetzung solcher Maßnahmen in den nächsten Jahren?

Mit den Konzepten, die derzeit im Rahmen der „Borchert-Kommission“ diskutiert werden, oder auch in den Gesamtbetrieblichen Haltungskonzepten der „Arbeitsgruppe der Länder und des Verbandes der Landwirtschaftskammer“ erarbeitet wurden, stehen Vorschläge zum Umbau der Tierhaltung im Raum. Realistisch wird die Umsetzung nur gelingen, wenn der Landwirt die erhöhten Aufwendungen im Stallbau, die höheren Produktionskosten und den Mehreinsatz von Arbeit entsprechend entlohnt bekommt.

In Schweden werden die Sauen weder im Kastenstand noch im sogenannten Ferkelschutzkorb eingesperrt. Stattdessen ferkeln die Sauen frei ab. Warum braucht Deutschland noch so lange (bis zu 17 Jahre!), um diese aus Tierschutzsicht schlechten Produktionseinrichtungen endgültig abzuschaffen? 

Die Umsetzungsfristen der neu gefassten Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung sind wie immer im politischen Prozess ein Kompromiss und eine Abwägung von verschiedenen Kriterien. Sicher notwendig, damit überhaupt eine Einigung erreicht werden kann.

Ferkel und Sau im Stall
© Bernhard Feller

Ein häufig gehörtes Argument für die sogenannten Ferkelschutzkörbe sind die hohen Verluste dadurch, dass die Sauen ihre eigenen Ferkel erdrücken. Sind die Erdrückungsverluste in Schweden wirklich so viel höher als in Deutschland?

Die Auswertungen der schwedischen Betriebe zeigen keine erheblich höheren Saugferkelverluste als in Deutschland. Gründe liegen sicher darin, dass in Schweden sehr viel Wert auf eine Genetik mit ruhigem Verhalten und guter Mütterlichkeit gelegt wird sowie auf einen ruhigen Umgang mit den Tieren. Die Ferkel erscheinen deutlich entspannter. 

Um wie viel höher liegen die Produktionskosten für Schweinefleisch in Schweden und warum können die Betriebe dort trotzdem überleben? Schweden ist doch genauso Mitglied der EU und ebenso dem Weltmarkt unterworfen wie Deutschland?

Die Produktionskosten liegen in Schweden ca. 10 Cent über den durchschnittlichen Kosten in der EU. Die Notierungen je Kilogramm Schweinefleisch beziffern sich ca. 20 Cent über dem 10-Jahresdurchschnitt in Deutschland. Nach dem Eintritt in die EU ist in Schweden der Selbstversorgungsgrad von Schweinefleisch enorm eingebrochen. Aber einer Initiative zwischen Lebensmitteleinzelhandel, Schlachtereien und Landwirten ist es zu verdanken, dass vorwiegend Fleisch aus schwedischer Produktion angeboten wird. Dies hat zu einem wieder steigendem Selbstversorgungsgrad und sinkenden Importen geführt.

In Deutschland wird außerdem etwa zehnmal so viel Antibiotika je Kilogramm Schweinefleisch eingesetzt wie in Schweden. Was sind die Gründe hierfür? Wie ließe sich der Verbrauch in Deutschland auf ein ähnliches Niveau senken?  

In Schweden konzentriert sich die Schweinehaltung auf den Süden des Landes. Die einzelnen Farmen liegen aber in einem großen Abstand voneinander. Zudem ist der Krankheitsdruck extrem niedrig. Es gibt zum Beispiel kaum PRRS [Porcine Reproductive and Respiratory Syndrome = Reproduktions- und Atemwegssyndrom der Schweine] und die Bestände sind sehr gesund. Die tiermedizinische Betreuung ist sehr gut. Fütterungsantibiotika sind seit 1986 verboten. Es werden auch keine Gruppenbehandlungen, sondern vorwiegend Einzelbehandlungen durchgeführt und alle eingesetzten Arzneimittel sind apothekenpflichtig.

Herr Feller, vielen Dank für das Gespräch. 

Das Interview führte Patrick Müller 

Erschienen im PROVIEH Magazin „respektiere leben.“ 01/2021

18.05.21

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