Versuch eines „Tierwohl-Täuschungsgesetzes“ erfolgreich verhindert 

Das Land Nordrhein-Westfalen ist mit dem Versuch gescheitert, die sogenannte „Stallbaubremse“ zu lösen. In der Sitzung des Bundesrates am 11. Februar 2022 wurde eine Gesetzesinitiative eingebracht mit dem wohlklingenden Namen „Gesetz zur Beförderung des Tierwohls in der landwirtschaftlichen Nutztierhaltung“. Nach der Überweisung in den Agrarausschuss des Bundesrates ist nun klar: dieses Gesetz wird nicht kommen. PROVIEH begrüßt dies ausdrücklich, weil es sich bei diesem Gesetzentwurf eher um ein „Tierwohl-Täuschungsgesetz“ handelt. Ein konsequenter Umbau der landwirtschaftlichen „Nutz“tierhaltung hin zu mehr Tierwohl wäre damit sicherlich nicht gefördert worden, sondern stattdessen pauschal ein Großteil aller Ställe ohne hinreichende Kriterien für Tierwohl. 

Das Problem

Aktuell besteht für viele landwirtschaftliche Betriebe ein großes Problem: Eine Genehmigung für einen Stallumbau oder -neubau zu bekommen, ist auf Grund der hohen Auflagen im Baugesetzbuch und im Bundesnaturschutzgesetz sehr schwierig. Insbesondere im Bereich Immissionsrecht gibt es hohe Hürden. Ställe, welche einen besonderen Mehrwert für das Tierwohl bieten wie beispielsweise Ställe mit Außenklima, Auslauf oder Weidehaltung, haben es deshalb besonders schwer, an eine Stallbaugenehmigung zu kommen. Möchten Landwirte ihre Ställe zu Anlagen mit tierfreundlicheren Haltungsverfahren umbauen, scheitert dies oft an den Vorgaben im Naturschutzgesetz oder im Baugesetzbuch. Dies zu ändern ist auch für PROVIEH ein wichtiges Anliegen, damit alte, tierschutzwidrige Ställe so schnell wie möglich verschwinden. Der Umbau hin zu deutlich höheren Haltungsstufen mit mehr Tierwohl muss dabei unbedingt gefördert werden, sowohl finanziell als auch im Sinne der Vereinfachung von Genehmigungen. Tierschutz muss dabei klar Vorrang vor Immissionsschutz bekommen, denn Tierhaltung darf nur noch in möglichst tiergerechten Haltungsverfahren stattfinden! 

Das „Tierwohl-Artikelgesetz“ des Landes Nordrhein-Westfalen

Das Land Nordrhein-Westfalen hat erklärt, diese sogenannte „Stallbaubremse“ lösen zu wollen. Entwickelt wurde dafür ein Gesetzesantrag mit dem schönen Namen „Gesetz zur Beförderung des Tierwohls in der landwirtschaftlichen Nutztierhaltung“. Dieses ist ein sogenanntes „Artikelgesetz“, welches in einem gemeinsamen Gesetzgebungsverfahren gleich mehrere Gesetze ändert oder neu einführt. In dem aktuellen Fall besteht dieser Gesetzesantrag aus drei Teilen: einem neu zu fassenden Tierwohlgesetz, der Novellierung des Baugesetzbuches sowie der Novellierung des Bundesnaturschutzgesetzes. Bei Zustimmung zu diesem Gesetzespaket wäre es zweifellos dazu gekommen, die „Stallbaubremse“ zu lösen. Ställe hätten einfacher gebaut oder umgebaut werden können. Eine Definition für Tierwohl liefert der Gesetzentwurf gleich mit und legt dabei genau zwei Kriterien fest: Demnach müssen für „Tierwohl“ die Tiere erstens die Möglichkeit bekommen, ihren natürlichen Verhaltensweisen nachzugehen und zweitens muss ihr Wohlbefinden deutlich über das gesetzlich vorgeschriebene Maß hinaus befördert werden. Außerdem soll eine tierwohlgerechte Haltung auch dann vorliegen, wenn beschlossene gesetzliche Maßnahmen (aufgeführt wird konkret das Verbot des Kastenstandes) bereits vor Ablauf von Übergangsfristen umgesetzt werden. 

Diese „Lösung“ hilft niemandem 

Dies ist jedoch keine Lösung im Sinne des Tierschutzes. Insbesondere in dem neu zu fassenden Tierwohlgesetz gibt es massive Schwachstellen. So ist juristisch völlig unklar, was „ihren natürlichen Verhaltensweisen nachgehen“ bedeuten soll. Dafür gibt es keine Definition und so gut wie keine Rechtsprechung. Eine steigende Anzahl an Streit- und Klageverfahren wären die Folge und damit verbunden noch deutlich höhere Kosten, größerer Aufwand und Unsicherheit für die Landwirte beim Stallbau als bisher schon. Das weitere Kriterium „Wohlbefinden deutlich über das gesetzliche Maß hinaus“ zu befördern ist ebenso wenig klar, denn für viele relevante Tierarten gibt es gar kein gesetzliches Maß! Es hätte also keine verbindlichen, allgemeingültigen Kriterien gegeben, was konkret unter einem „Tierwohlstall“ zu verstehen wäre. Der weitere Absatz des Gesetzentwurfes zur “tierwohlgerechten Haltung” ist ebenfalls in hohem Maße fragwürdig, denn etwas, das in Kürze aus Tierschutzgründen verboten und nur noch per Übergangsfrist erlaubt ist, nicht mehr zu bauen, ist gesunder Menschenverstand, nicht „erhöhtes Tierwohl“. Die meisten Betriebe denken sehr wirtschaftlich und bauen deshalb Ställe, die in Kürze verboten werden, erst gar nicht mehr innerhalb dieser Übergangsfrist. Es wären also praktisch alle aktuellen Stallbauvorhaben privilegiert worden, unabhängig davon, wie hoch das Tierwohlniveau wirklich gewesen wäre. Erhöhtes Tierwohl ist deutlich mehr als nur das Nicht-Ausnutzen von Übergangsfristen für Maßnahmen, die längst hätten gesetzlicher Mindeststandard sein sollen. 

Reaktion von PROVIEH und Bundesrat 

PROVIEH hatte sich in Bezug auf diesen Gesetzesentwurf bereits sehr früh an das Land Nordrhein-Westfalen gewandt. Gemeinsam mit anderen Tierschutzorganisationen haben wir eine umfangreiche Stellungnahme abgegeben und gefordert, dieses Gesetz so nicht einzubringen. Unserer Ansicht nach hätte der Begriff “Tierwohl” wesentlich präziser und schärfer ausgeführt werden müssen. Wir forderten die komplette Streichung des absurden Passus, den Bau von allen Ställen nach den gesetzlichen Vorgaben (lediglich ohne Ausnutzung von Übergangsfristen) zu privilegieren. Auf diese Stellungnahme hat das Land Nordrhein-Westfalen ausweichend bis gar nicht reagiert, unsere Vorschläge wurden so gut wie gar nicht aufgegriffen, der Gesetzesvorschlag stattdessen fast unverändert am 11. Februar 2022 in den Bundesrat eingebracht. 

Die parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL), Ophelia Nick, brachte in ihrer Rede zu diesem Antrag ähnlich harte Kritik wie auch PROVIEH und andere Tierschutzorganisationen zum Ausdruck: In Vertretung des BMEL verkündete sie die Ablehnung des Gesetzesvorschlag von Seiten des Ministeriums. Sie sprach sogar davon, dass mit diesem Gesetz ein „Freifahrtschein für Ställe im Außenbereich“ erteilt werden würde – was mit dem grün geführten Ministerium nicht zu machen sei. Zunächst würden konkrete Standards für die Tierhaltung festgelegt werden, erst dann könne man entscheiden, welche davon baurechtlich privilegiert und auch finanziell gefördert werden können. Laut Nick wird es in Zukunft ein Gesamtkonzept der Bundesregierung geben, welches einen Abbau der Tierbestände und explizit eine Bindung der Tierzahlen an die Fläche vorsieht. Der Antrag aus Nordrhein-Westfalen wurde daraufhin an den Agrarausschuss des Bundesrates verwiesen. 

Auch dem Agrarausschuss des Bundesrates sowie den Landwirtschaftsministerien aller Bundesländer haben wir unsere Stellungnahme zukommen lassen. Gemeinsam mit den anderen Organisationen im Bündnis für Tierschutzpolitik haben wir uns erneut dafür stark gemacht, den Antrag aus Nordrhein-Westfalen abzulehnen. Genau dies hat der Ausschuss am 21. Februar auch getan, der Antrag wurde „bis auf Wiederaufruf“ vertagt. Ein voller Erfolg für den Tierschutz! 

Wie geht es weiter? 

Das beschriebene Problem der „Stallbaubremse“ ist damit natürlich noch nicht gelöst. Es ist richtig, dass es hier dringend gesetzliche Veränderungen braucht, dass Ställe massiv umgebaut und gegebenenfalls komplett neu gebaut werden müssen, wenn das Tierwohlniveau erhöht werden soll. Es kann jedoch keinesfalls im Sinne eines konsequenten Umbaus der Tierhaltung hin zu mehr Tierwohl sein, grundsätzlich alle Stallneubauten zu privilegieren. Aus Sicht von PROVIEH kann ein undefiniertes „Tierwohl“ nicht als „Freifahrtschein“ für jeglichen Stallneu- und -umbau gelten. Genau das jedoch hätte es mit dem Antrag aus Nordrhein-Westfalen gegeben. Es ist deshalb sehr zu begrüßen, dass der Agrarausschuss des Bundesrates die richtigen Schlüsse gezogen und sich nicht von dem euphemistischen Gesetzestitel hat hinters Licht führen lassen.  

Was wir jetzt brauchen, sind klare, starke Kriterien für deutlich mehr Tierwohl, die transparent und wissenschaftlich fundiert in gesetzlichen Mindestkriterien für alle Tierarten und in einem staatlichen Haltungskennzeichen verankert werden. Erst dann können daran Privilegien für bestimmte Haltungsformen festgemacht werden. Die inzwischen abgewiesene Bundesratsinitiative aus Nordrhein-Westfalen hätte dem Tierschutz dagegen einen Bärendienst erwiesen.  

Patrick Müller 

Die gemeinsame Stellungnahme an den Bundesrat finden Sie hier: Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Beförderung des Tierwohls in der landwirtschaftlichen Nutztierhaltung

24.02.2022

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